Freitag, 15. April 2016
Marionettentheater
Die berühmte Schrift von Heinrich von Kleist: Ein ihm bekannter Knabe habe in einem Augenblick der Figur des Dornausziehers geglichen, aber unter der Kontrolle seines Verstandes die Bewegung in ihrer Schönheit nicht mehr nachahmen können. Der sechzehnjährige Knabe habe diese spontane Anmut vergeblich in seinem Spiegelbild wiederzuentdecken versucht und sie durch diese Bemühung gänzlich verloren. Der Tänzer schildert daraufhin einen Bären, der Fechtstöße sämtlich pariert, ohne wie ein menschlicher Fechter auf Finten zu reagieren.
Im Gespräch wird ausgehend von diesen drei Beispielen die These aufgestellt, dass entweder völlige Abwesenheit von Bewusstsein (wie der „Gliedermann“ des Marionettentheaters) oder ein absolutes, „unendliches“ Bewusstsein (wie ein Gott) das gewünschte „natürliche“ Verhalten erzeuge. Vollendete Anmut und Natürlichkeit besitze demnach jemand, der sich entweder völlig unbefangen und unbewusst wie ein Kind verhalte, oder aber in Aufhebung der Folgen des Sündenfalls dieses ideale Bewusstsein erlangt habe..."

Die Falle für den Interpreten. Innerhalb eines festgelegten Rituals immer die erwartete und damit recht gleichartige Interpretation abzuliefern. Die Anmut, das göttliche, kann dabei vollkommen verloren gehen.
Teodor Curentzis und Patricia Kopatschinskaja ist es das zentrale Anliegen, nicht in diese Routine zu verfallen. Immer wieder suchen sie wieder Jüngling bei Kleist, das Göttliche zu berühren. In dem wunderbaren Film bei arte,http://www.arte.tv/guide/de/059603-000-A/mendelssohns-violinkonzert, sprechen beide davon. Sieht man das Konzert, spürt man bei allen Interpreten, nicht nur dem Dirigenten und der Violinistin das dringende Verlangen, die Sterne zu erreichen. Durch das Konzert wird so viel Spannung aufgebaut, dass sich das Publikum im Jubel entlasten muss.

Solche Ergebnisse gelingen nur selten und wohl auch nur Ausnahmekünstlern. Wie beglückend, an diesen Momenten teilnehmen zu können.

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Montag, 4. April 2016
Abgenutzt
Juan Pedro Damiani ist einer der reichsten Männer Uruguays und eine der mächtigsten Figuren im Fußball des Landes, der 57 Jahre alte Anwalt steht als Präsident dem Serienmeister Club Atlético Peñarol aus Montevideo vor. Im Weltfußball wirkt Damiani ebenfalls seit vielen Jahren in den einflussreichsten Zirkeln mit, dort bisher allerdings eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das dürfte mit Veröffentlichung der Panama Papers ein Ende haben.


Damiani, Mitglied des Fifa-Ethikkomitees, pflegt laut den Enthüllungen verschiedener Medien, darunter die "Süddeutsche Zeitung", Geschäftsverbindungen zu in den Fifa-Skandal verstrickten Personen. Seine Anwaltskanzlei hat als Großkunde von Mossack Fonsecarund 400 Offshore Firmen gekauft so heute in SPIEGEL online.
Es scheint so, als wenn die Recherchearbeit von hunderten Journalisten einen Riesenskandal aufdeckt.
Aber kann man sich darüber noch aufregen?
Ein Skandal jagt den anderen und relativiert die Bedeutung des einzelnen genau dadurch. In dieser Welt, in der alles Elend aufgrund globalisierten Kommunikationsstrukturen immer zu präsent ist, fragt man sich, was kann einen Menschen noch aufregen? Dieses Elend seelisch zu verarbeiten, ist gänzlich unmöglich. Es ist schlicht zu viel. Welche Qualität muss heute eine Nachricht haben, die einen noch wirklich erschüttern kann, in Gänze erreicht? Dass ein Vertreter der Ethik selbst unethisch handelt, ist gar keine neue Erkenntnis. Das Sprichwort heißt: die Kritiker der Elche sind selber welche. Die Beispiele dafür sind zahllos.
So traurig es ist, wahrscheinlich ist diese Enthüllung zu groß, zu umfangreich, um wirklich zu Empörung von Menschen zu führen. Das gleiche Phänomen hatten wir in Deutschland lange bei der moralischen Verarbeitung des Holocaust. Millionen Opfer schienen ein nicht berühren zu können. Erst als die amerikanische Serie kam, 1979 und Einzelschicksale vorstellte entstand eine kollektive Betroffenheit. Wie kann diese durch die Panama Papers hergestellt werden?,

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Freitag, 18. März 2016
Vernunft
Käme ein kleines grünes Männchen aus dem Kosmos der Zukunft auf die Erde und würde sich das Strafsystem dieser Erde anschauen, gebe es nur ein Kopfschütteln, wie atavistisch dieses ganze System ist.
"Ein Mann verbüßt für seine brutalen Verbrechen eine lebenslange Haftstrafe. Während der Haft lässt er sich nichts zuschulden kommen, ist absolut unauffällig, bis er eine Therapie verweigert. Ein junger Russlanddeutscher gerät im Gefängnis in die Fänge der russischen Mafia. Ein anderer verweigert die vorzeitige Entlassung, weil er sich einem Leben außerhalb der Gefängnismauern nicht gewachsen fühlt. JVA-Leiter und Rechtswissenschaftler Thomas Galli wirft anhand authentischer Fälle einen kritischen Blick auf Grenzen und Möglichkeiten des Strafvollzugsystems und zeigt die ungerechte gesellschaftliche Verteilung moralischer und rechtlicher Schuld. Sind Gefängnisstrafen überhaupt sinnvoll. Mindern sie nicht vielmehr die soziale Anschlussfähigkeit und Integrationschancen?"
Dieses Buch kommt dieser Tage auf den Markt. Es ist höchst erfreulich, dass es nicht im Elfenbeinturm entstanden ist, soll auf langjähriger praktischer Erfahrung beruht.

Die Rückfallzahlen bestätigen die Annahme, dass dieses System des Strafens seinen Zweck nicht erfüllt, wenn der Zweck denn sein sollte, den Menschen als unauffälliges Mitglied in die Gesellschaft zu integrieren.

Dient das Strafsystem allerdings der Befriedigung von Rachegefühlen, hat es durchaus seine Berechtigung.

Andererseits ist die Gesetzeslage klar: es darf nicht um die Befriedigung von Rache gehen.

Das System ist nicht nur absurd teuer, sondern im hohen Maße ungeeignet. Darauf weist Ghali in aller Deutlichkeit hin: die Menschen entfernen sich durch einen Gefängnisaufenthalt noch weiter von dem Ideal der Integration. Dass die schrecklichen Erlebnisse eines Gefängnisses abschreckend wirken, ist mindestens hinsichtlich aller Affekttaten widerlegt.

Man könnte noch einen Schritt weiter als Galli gehen. Dieses System ist verfassungswidrig. Es stellt in manchen Bereichen die Würde des Gefangenen nicht sicher, zugleich ist es offensichtlich ungeeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen.

Es ist bemerkenswert, wie hoch irrational auch die demokratisch rechtsstaatliche Gesellschaft in Deutschland dieses Thema behandelt. Nicht an der Vernunft, sondern lediglich an Ängsten und Rache ist dieses System ausgerichtet.

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