Samstag, 7. Dezember 2013
zero tolerance
"Rausgehen und Kriminelle jagen, dafür ist er bekannt: William Bratton wird erneut Chef der New Yorker Polizei. Der 66-Jährige griff bereits während seiner ersten Amtszeit hart gegen Verbrecher durch - mit Erfolg"
. so titelt die Süddeutsche heute.
Das stand schon einmal differenzierter in dieser Zeitung.
Zero tolerance gab es schon vor einiger Zeit. seinerzeit in NY praktiziert. Damals auch erst hochgelobt. Ganze Heerscharen von Führungskräfte-Nachwuchs pilgerten dorthin und...kamen, auch ernüchtert, wieder von dort zurück. Die internen Prozesse der Verbrechensbekämpfung waren für die Beteiligten nicht ohne. Grilling nannte man das Verfahren, bei jeder Sitzung irgendein Revier vor das Tribunal zu zitieren,dann mussten die Hosen runtergelassen werden, Erfolgskontrolle zu zahlreichen Vorgängen im Revier,aber auch Befragungen zu Krankenstand und anderen Angelegenheiten von Interesse Das intern harte Regimente führte dazu , dass ungefähr die Hälfte der Führung ausgewechselt wurde ( in NY möglich,bei uns wegen des Beamtenrechts nur sehr begrenzt umsetzbar). Die Euphorie, endlich werde man es einmal den Rechtsbrechern zeigen, war deutlich gedämpft.
Hinzu kam, dass die permante Verletzung des Verhältnismäßgkeitsgrundsatz zu einem enormen der Schadenersatzklagen führte,Schadenersatz, er in USA teilweise nicht von Pappe und die Zahlen in ziemlich astronomische Höhen trieb.

Also steckt hier eine sehr grundsätzliche Frage drin: wie ist ein Gesellschaft beschaffen, die Kriminalitätsraten senkt? Zero tolerance, etwa in Singapore scheint einen gesellschaftlichen Preis zu haben. Den Verlust der Angemessenheit, ein Prinzip staatlichen Handelns. Wer für einen weggeworfenen Kaugummi vielleicht 48 Stunden weggesperrt wird, hat zu zero tolerance nicht mehr ein so entspanntes Verhältnis.
Die danach lautstark rufen,wären sicher empört, wenn man auf täglichen ubiquitäre Verkehrsverstöße unangemessen reagierte: Verschrotten des Wagens, wenn eine rote Ampel überfahren würde. Zerol tolerance,ja, aber doch nicht bei mir.

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Donnerstag, 5. Dezember 2013
Krebs
" Ganz einfach. Es war Ende September, da wachte ich eines Sonntagmorgens auf und hatte Schluckbeschwerden. Das wurde immer schlimmer. Am nächsten Tag bin ich zu meiner Ärztin gegangen, die mich dann zu einer radiologischen Untersuchung geschickt hat, gleich am selben Tag noch. Es war eine Jugularis-Thrombose, die Thrombose einer Halsvene. Die wollten, dass ich sofort ins Krankenhaus gehe. Aber ich habe zu Hause erst einmal im Internet nachgeschaut, was eine Jugularis-Thrombose genau ist. Da stand, dass es in manchen Fällen, nicht so häufig, ein Zeichen für einen bösartigen Tumor ist. Ich dachte: "Na ja, wird wohl in meinem Fall nicht so sein." sagt Helmut Dietl im Interview mit der ZEIT.

Es ist Krebs.

Er macht keine Chemo-oder sonstige Therapie. " : Es war furchtbar, ein Skelett, Schläuche an allen Ecken und Enden. Ich möchte, dass gerade die Kleine mich niemals so sieht. Weil das Eindrücke sind, die ein Leben lang bleiben, die sind traumatisch. " so seine Erfahrung mit seinem Vater.

Heute steht in der ZEIT, so reagieren die wenigsten. Die meisten ergreifen jeden Strohlhalm, und verlängert er das Leben gar nicht oder kaum und macht das Leben zu einem elenden.

Sehr radikal ging Ivan Illich mit seinem Krebs um."....erzählt von den Metastasen, die er hat, besonders am Rückgrat, was Anfälle und Schmerzen auslöst, und fügt dann beruhigend hinzu, dass es jetzt aber gut ist und er die Dinge wieder in der Hand hat.Seinen Krebs will er sich nicht schlecht machen lassen von der Schulmedizin, er sagt sanft:
"Ich bin nicht krank, das ist keine Krankheit. Es ist ein vollkommen anderes, viel komplizierteres Verhältnis."

Ivan Illich lebte ohne weitere Behandlung 21 Jahre mit dieser Krebs-Variante,bei starken Schmerzen durch Opium erleichert.

Ein anderer war Peter Noll.

"Peter Noll erklärt daraufhin, einer Operation auf keinen Fall zustimmen zu wollen, Noll “… wählt die Metastase statt der apparativen Hinauszögerung des Todes“:“… ich erkläre, dass ich einer solchen Operation unter keinen Umständen zustimmen würde. … Ich stosse wieder auf eine von meinen Eigenschaften, die mir eigentlich längst vertraut sein sollte. Obwohl eher Zweifler und Zögerer von Natur aus, neige ich zu brüsken, schnellen und radikalen Entschlüssen in Krisensituationen, die mich selber betreffen. “

Zum Motiv von Noll. "Ständig wird etwas mit ihm gemacht, doch nie auf Grund seiner eigenen Entschlüsse, sondern immer auf Grund von diagnostischen oder therapeutischen Erwägungen der Ärzte oder ganz einfach wegen der Organisation des Betriebs."
In diese Situation will der Individualist nicht kommen; er will die "Rolle des Gesunden und des Normalen" so lange als möglich einnehmen, dabei wohl wissend, "todkrank, aber eben nicht Patient" zu sein. Zweifelsohne wertet Noll die persönliche Handlungsfreiheit wie Montaigne als ein sehr hohes Gut, das die ärztliche Hoffnung auf möglichste Lebensverlängerung in seiner Entscheidung überwiegt. "

Soweit es dokumentiert ist, war das Sterben von Noll kein glanzvolles Widerstehen gegen Medizin und Sterben. In der Endphase war trotz allen Morphiums der Schmerz überwältigend. ( das würde heute angesichts des Fortschritts der Palliativmedizin anders aussehen).

Es sind die wenigen, die im Sterben nicht ihrer Todesangst gänzlich ausgeliefert sind. Über dem Sterben stehen ,geht das? Vielleicht.Vom Sterben des 16ten Karmapa, einem hohen tibetischen geistlichen Würdenträger wird berichtet,trotz stärkster Schmerzen sei er in heiterer Gelassenheit gestorben. Absolute Ausnahmen.

Illich ist wohl auch ein Ausnahmefall der anderen Art. Er hatte eine Krebs-Variante, die nicht zwangsläufig zu einem baldigen Tod führt.

Wer nicht mit einer Vorstellung von Jenseits durch die Welt geht, nimmt von dieser wahrscheinlich schwerer Abschied.

Bemerkenswert an die beschriebenen Beispielen ist allerdings, dass man sich bei jeder Behandlung fragen sollte, für welches Leben man denn diese Entscheidung trifft? Ein menschenwürdiges Leben?

Nachzutragen Wolfgang Herrndorf:"Die letzten Einträge in seinem Blog zeugen erschütternd davon, wie der große Sprachkünstler immer mehr seine Worte verliert. "Ich bin nicht der Mann, der ich einmal war. Meine Freunde reden mit einem Zombie", schrieb er Anfang Juli. Und einige Tage später folgte ein Gedicht: "Niemand kommt an mich heran/bis an die Stunde meines Todes./Und auch dann wird niemand kommen./Nichts wird kommen, und es ist in meiner Hand." Der Autor schien zerissen, harderte schwer mit seinem Schicksal: "Jeden Abend der gleiche Kampf. Laß mich gehen, nein, laß mich gehen, nein. Laß mich", schrieb er wenige Wochen vor seinem Tod. Seinen letzten Beitrag verfasste er am 20. August dieses Jahres. Kathrin Passig verkündete ebenfalls via Twitter, dass der Blog schon bald als Buch erscheinen soll. "

Morgen erscheint es: 6.Dezember 2013

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Mittwoch, 27. November 2013
Palliativ
Heute las ich einen Artikel von Borasio im Kursbuch 172 über gutes Leben.

Im Interview hatte er gesagt: " Die Gleichsetzung von Palliativmedizin und Schmerztherapie macht aus fachlicher Sicht keinen Sinn. Nur ein Sechstel der Palliativbetreuung ist Schmerztherapie. Und nur ein Viertel der Bevölkerung stirbt an Krebs, Trotzdem versuchen Anästhesisten und Onkologen überall in Deutschland, die Palliativmedizin als Bestandteil ihres jeweiligen Fachs zu definieren. Damit wird man aber den Bedürfnissen schwerstkranker und sterbender Menschen nicht gerecht. Palliativmedizin ist ein eigenständiges Fach mit dem breitesten Patientenspektrum der gesamten Medizin - nur vergleichbar mit der Allgemeinmedizin."

Der Machtkamp
f geht mal wieder, es ist keine Überraschung um Geld. Die Industrie hat teuerste Mittel entwickelt, das Leben von Menschen eine kurze Zeit zu verlängern, allerdings mit erheblichen Nebenwirkungen. Wenn die Schmerztherapeuten das Sagen haben, ist das Entscheidung für diese Variante. Borasio zeigt im eben genannten Artikel auf, welche ungeheuren Kosten ein derartiges Vorgehen mit sich bringt,zugleich für die Patienten aber ein mehr an Leiden.
In einem anderen Interview sagt er:"Die Palliativmedizin ist da, um Räume zu schaffen, wie es die grosse englische Ärztin und Begründerin der Hospizbewegung Cicely Saunders ausdrückte. Unsere Aufgabe ist es, Hindernisse wegzunehmen, die zwischen dem Menschen und seinem eigenen Tod stehen. Wir sind also weniger Sterbebegleiter, vielmehr Hebammen für das Sterben. Aber was die Menschen dann mit diesem Raum machen, ist nicht unsere, sondern ihre Verantwortung. Es sollte keinen Leistungsdruck beim Sterben geben. Es gibt Menschen, die verbittert gelebt haben und verbittert sterben. Das tut einem zwar in der Seele weh, aber es ist trotzdem ihr Leben und ihr Tod gewesen. Das sollte man nicht geringer schätzen als den Tod von jemandem, der ein gutes Leben hatte, weil er vielleicht mehr Glück hatte, und der friedlich im Kreise seiner Lieben stirbt. Der eine Tod ist nicht „besser“ als der andere."
Es geht um die Humanität im Umgang mit dem Sterbenden. Mit größter Mühe wurde ein solcher Ansatz des Umgangs mit dem Sterbenden bewahrt, weil die Interessen der Medizin-und Pharmaindustrie in eine andere Richtung gehen.

Es ist schon ein Skandal, dass ungehemmtes Erwerbsstreben nicht einmal vor dieser letzten Phase eines Menschen halt machen und man mit dem Sterben das dicke Geschäft machen will, nicht nur auf Kosten der Gemeinschaft, sondern auch zu Lasten des Sterbenden, weil die Medikamente, so Borasio, die das Leben verlängern ( meist nur um kurze Zeit) erhebliche Nebenwirkungen haben.

Er selbst sagt über seine Tätigkeit."Viele Patienten und Familien haben sich unserem Team anvertraut und uns mitgenommen in ihr Leben und ihr Sterben, womit sie uns alle unglaublich bereicherten. Ich betrachte mich als sehr privilegiert."

Der Sterbeprozeß als ein solcher der Erfahrung und Liebe.

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