Freitag, 23. Mai 2014
Grundgesetz
Am 23 Mai 65.

Grund genug, dass wichtige Juristen von wichtigen Journalisten befragt werden.

Da ist der organisatorische Teil, wenig kritisiert, zumal die meisten Verfassungsänderungen da Anpassung gebracht haben.

Da ist die Öffnung nach Europa, da ist der meiste Wandel und die Notwendigkeit einer Neuorientierung zu verorten.

Und da sind die Grundrechte, das emotionale Herzstück einer Verfassung. In fünfundsechzig Jahren auch verändert worden, eigentlich fast immer in die gleiche Richtung: mehr Einschränkung der Freiheiten.

Am Mittwoch lief ein Stück zum Gleichberechtigungsartikel des Grundgesetzes im Fernsehen. Wie traditionell damals viele Verfassungsväter und auch zwei Verfassungsmütter dachten,kam heraus. Das traditionelle Bild,der Mann als Vorsteher der Familiengemeinschaft,gottgewollt, sollte nicht verändert werden.

Es kam dann in Art 3 Abs. 2 GG anders,sollte aber Jahrzehnte dauern, bis sich der Gedanke durchsetzt,auch heute gibt es keine vollkommene Gleichstellung. 65 Jahre danach.

Aus der Erfahrung mit totalitärer Herrschaft entstand im Grundgesetz quasi ein Gegenmodell. Der Staat als Gegenspieler war weniger präsent als Gesellschaftsmodelle wie etwa das Bild der Familie.Der Staat war durch die Nazi-Zeit sehr gründlich desavouiert. In einer solchen Situation konnte ein relativ vollmundiges Grundrechtsprogram beschlossen werden.
Aber bald kamen Wirtschaft und Staat zurück.
Deswegen war die Idee des Art. 15 GG ( schon abgeschwächt gegenüber früheren Landesverfassugen wie etwa Hessen 1946) schnell reines Papier: " Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Absatz 3 Satz 3 und 4 entsprechend." Nein, das wurde anders gemacht

Alsbald konnte die Ent-Nazifizierung hinter einem neuen Feindbild verschwinden. Schon gab es einen Adenauererlaß, 1950 gegen solche Umtriebe, der sich sicher nicht an Art. 3 Abs. 3 GG hielt: " Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."

Dieses Dskriminierungsverbot,im Grundgesetz gleich mehrfach aufgenommen, weil den Verfassungsvätern noch als Erfahrung sehr gegenwärtig,wurde immer wieder minimiert und ist nie richtig entfaltet worden.

1975, in der ersten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurde einer Lehrerin das Unterrichten verboten, weil sie in der DKP war. Ihre Eltern hatten im KZ gesessen und der Berichterstatter in diesem Verfahren hatte in Hamburg bei Prozessen nach dem Blutschutzgesetz als Assessor mitgewirkt( so SPIEGEL 32/75).

Diskrimierungen fanden immer wieder statt und niemand fühlte sich durch Grundgesetz daran gehindert.

Das Grundgesetz wird als leuchtendes Vorbild gefeiert. Aber: sollte es einen nicht nachdenklich machen, wenn nach der Wiedervereinigung jede Veränderung der Verfassung von den Oligarchen abgelehnt wurde? Weil sie die Verfassung so umwerfend gut finden oder weil sie sich damit arrangiert haben?

Wohl eher Letzteres: wenn ein Verfassungsgerichtsurteil wirklich einmal richtig stört, wird es auch heute ignoriert. Auch dann,wenn mehrfach in die gleiche Richtung entschieden wird: Beamte mit mehreren Kindern mussten erfahren, dass man auch Verfassungsgerichts-Urteile einfach igorieren kann, wenn die Regierenden meinen, es sei schlicht zu teuer. Diese Woche erst erfuhr ich, dass Bremen das Urteil zur Besoldung von Professoren ignoriert. Wir sind Haushaltsnotlage-Land Dann müssen wir uns nicht an die Verfassung halten.

Leider werden diese Aspekte bei den Jubel-Feiern gar nicht erwähnt. Oder fast. Prantl schreibt einen Satz zur mangelnden Bereitschaft der Verfassungsrevision heute in der Süddeutschen: einen Schatten auf das Grundgesetz werfe dies.

Wenn einem der emotionale Teil der Verfassung wirklich am Herzen läge,würde man eine Bestandsaufnahme machen: wo stehen wir nach 65 Jahren Grundrechte genau? Wieviele von der Grundrechten wurden verwirklicht, wieviele ausgehöhlt, wie etwa das Asylrecht oder dasjenige auf informationelle Selbstestimmung.

Diese Bestandsaufnahme fehlt. Nirgendwo ist erkennbar, dass es dafür Interesse gibt.

Also können wir getrost bis zum nächsten Jubiläum warten. Jubeln ist gefragt. Sonst nichts.

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